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Schärfe-Ebene und Blendenwert bei hoch lichtstarker Optik


Gast Guest

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Vielleicht interessiert's ja hier den einen oder anderen was ich über ein spannendes Thema in Erfahrung gebracht habe! Nachdem ich seit ein paar Tagen stolzer Besitzer eines Carls Zeiss Planar HFT 85mm/1,4 (Rollei QBM Bajonett) bin sind mir beim Fotografieren ein paar mir merkwürdig erscheinende Dinge aufgefallen: Bei Blende 1,4 ist es mitunter ganz schön schwierig den Punkt der maximalen Schärfe zu finden - selbst mit Sucherlupe. Dabei bemerkt man einerseits je nach Fokuslage steigenden und fallenden Kontrast an Kanten und mehr oder minder ausgeprägte Halo-Phänomene. Jedoch fallen maximaler Kontrast und minimaler Halo nicht unbedingt zusammen. Als hilfreich hat sich für mich erwiesen es bei der Sucherlupe (E-M1) nicht mit der Vergrößerung zu übertreiben - 10x ist nach meiner Meinung dann manchmal schon zu viel - mit einer geringeren Vergrößerungs-Stufe kann man das Schärfe-Bild oft leichter beurteilen. Weiterhin war mir aufgefallen, dass sich abhängig von der verwendeten Blende die Schärfe-Ebene verschiebt. Wenn ich bei Blende 1,4 fokussiert hatte und danach auf (sagen wir mal 2,8 oder 4) abgeblendet habe hatte ich tatsächlich den Eindruck, dass ich den Focus etwas "nachführen" muss. Eine Versuchsreihe mit Stativ und statischem Motiv hat diesen Eindruck bestätigt. Kann denn so etwas wirklich sein? Niemand könnte so etwas besser wissen als Dr. Hubert Nasse von Carl Zeiss Oberkochen, der so freundlich war mir diese Frage ausführlich zu beantworten. Mit seiner freundlichen Genehmigung darf ich seine Ausführungen hier zitieren:

 Dr. Hubert Nasse said:
"Die Ursache besteht darin, dass bei diesem sehr hoch geöffneten Objektiv die sphärische Aberration nicht vollständig korrigiert ist. Sphärische Unterkorrektion bedeutet, dass das natürliche Verhalten jeder Sammellinse in milder Form noch vorhanden ist. Und das besteht darin, dass der Fokus der Randstrahlen der Blendenebene näher an der Linse liegt als der Fokus der achsnäheren Strahlen. Deshalb wandert bei so einem Objektiv der Fokus eines Gegenstandes beim Abblenden in der Kamera weiter nach hinten, und das bedeutet, dass dann ein weiter entfernter Gegenstand scharf abgebildet wird. Das ist ja genau das, was Sie beobachten. Der deutsche Fachausdruck für diese blendenabhängige Fokusverschiebung ist „Blendendifferenz“. Die meisten klassischen lichtstarken Objektive haben eine positive Blendendifferenz. Und damit die Sache nicht zu einfach wird: die Blendendifferenz ändert sich mit der Aufnahmeentfernung. Bei dem Planar 1.4/85 nimmt sie im Nahbereich deutlich zu. Wenn man noch genauer hinsieht, dann kann es auch so sein, dass die Fokusverschiebung bei ganz kleiner Abblendung zunächst negativ ist und dann bei stärkerer Abblendung positiv wird. In der Gegend von f/5.6 oder f/8 wird meist ein stabiler Fokus erreicht. In der heutigen digitalen Fotografie mit ihrer Neigung zu hohen Vergrößerungen bei der Bildbetrachtung kann der Effekt natürlich schon störend sein. Bei einer spiegellosen Kamera ist das Problem allerdings geringer, weil man bis zu mittleren Öffnungen ja gut mit der Arbeitsblende fokussieren kann. Andererseits ist die sphärische Unterkorrektion auch genau die Eigenschaft, die ein schönes weiches Hintergrundbokeh erzeugt. Und der Übergang in die Unschärfe ist nach hinten sehr allmählich, das ist bildmäßig oft sehr angenehm. Wir haben ja heute auch Hochleistungsobjektive (zur Photokina kommt ein neues 1.4/85), die keine sichtbare Blendendifferenz mehr aufweisen, auch nicht im Nahbereich. Aber da ist der Übergang in die Unschärfe ziemlich abrupt. Nüchtern technische Abbildungsqualität und Schönheit müssen nicht immer zusammen passen – alles Geschmackssache. Auf jeden Fall ist sphärische Aberration das einzige Mittel, um bei gegebener Öffnung die Abbildungstiefe zu erhöhen. Deshalb gab es früher für die Porträtfotografie im Großformat viele Objektive, die absichtlich nicht so gut korrigiert waren. Der Vollständigkeit halber sollte ich noch erwähnen, dass die Sache mit der Fokusverschiebung eigentlich noch komplizierter ist als bisher beschrieben – denn sie ändert sich auch noch Bildfeld: während sie in der Mitte positiv ist, kann sie näher am Rand auch negativ sein. Aber zum Glück muss man sich als MFT-Nutzer um diese Komplikation nicht so große Sorgen machen …"
Eine Monographie von Hr. Dr. Nasse "Schärfentiefe und Bokeh" illustriert diese Zusammenhänge auf Seite 36. Wie er mir verraten hat benutzt er selbst für "Altglas" besonders gerne eine Olympus E-M1! Fazit für die Praxis: Beim Einsatz hoch lichtstarker Objektive lohnt es sich darauf zu achten bzw. zu überprüfen, ob ein spezifisches Objektiv vielleicht ein derartiges Verhalten aufweist. Das würde dann bedeuten, dass man gut beraten ist die Fokussierung tatsächlich bei derjenigen Blende zu beurteilen, mit der man dann Foto dann auch aufnehmen will! LG Olyver
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Vielen Dank, Olyver, das ist sehr aufschlussreich! Ich bin mir unsicher, ob ich dieses Phänomem selber bereits mit adaptierten Lichtriesen festgestellt habe, aber ich meine, mich daran zu erinnern, dass ich wegen der Schärfeebene nach dem Abblenden mal irritiert war und ganz leicht nach Abblenden um 1 EV nachjustiert hatte.

Als hilfreich hat sich für mich erwiesen es bei der Sucherlupe (E-M1) nicht mit der Vergrößerung zu übertreiben - 10x ist nach meiner Meinung dann manchmal schon zu viel - mit einer geringeren Vergrößerungs-Stufe kann man das Schärfe-Bild oft leichter beurteilen.
Das kann ich bestätigen. Ich nutze bei der E-M5 die Sucherlupe meist mit 7x Vergrößerung und kann in dieser Einstellung am besten fokussieren. Viele Grüße Dirk
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 PenFan said:
..wird dieser Effekt im Englischen Sprachraum mit "focus shift(ing)" betitelt ?
Ja - ich glaube schon. Siehe dazu die englisch-sprachige Version der Monographie http://www.smt.zeiss.com/C12567A8003B8B6F/EmbedTitelIntern/CLN_35_Bokeh_EN/$File/CLN35_Bokeh_en.pdf Wiederum Seite 36 - dort heißt es unten "focus shift". LG Olyver
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